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Letzter Traumzeit-Tag: Genregrenzenüberschreitungen

Photo: Nikolaj Holm Moeller - Quelle: Traumzeit-Festival

Faszinierend, was in drei Tom-Toms an Klängen steckt. Um 16:00 Uhr eröffneten die Schlagwerker der Duisburger Philharmoniker den Schwerpunkt Percussion an diesem Tag. Ebenso faszinierend, dass Vibraphon und Marimbaphone ebenfalls ins Repertoire der Schlagwerker einzuordnen sind – die Komposition „Schatten und Differenzen“ von Frank Zabel verwob die Klänge der beiden Instrumente mit einer elektronischen Komponente. Welche Vielzahl an Instrumenten sonst noch normalerweise nur versteckt im Orchester zu finden sind zeigte dann das Stück „Fiesta del Sol“ mit karibischem Einschlag. Unter anderem Klanghölzer, Schnarren und vor allem Christoph Lamberti, der mit seinem Trommelsolo das Publikum von den Stühlen riss. Übrigens der einzige Musiker, der mit Flipflops spielte. Das dürfte ihm den Titel „Ungewöhnlichste Fußbekleidung des Festivals auf der Bühne“ eingetragen haben.

In der Anmoderation wurden sie als die beste Vollversammlung von Musikern des Ruhrgebiets bezeichnet: The Dorf aus Dortmund sprengten fast die Bühne am Gasometer und sind die Einzigen, die im Programm bei den Mitgliedernamen eine zweite Spalte brauchten. The Dorf schauen gerne über den Tellerrand des Jazz hinweg, nehmen sich die Freiheit auch mal rockige Töne anzuschlagen und sind mit einer Spielfreude gesegnet, die sich hören ließ. Optisches Highlight: Dirigent Jan Klare im Kilt. Soundliches Highlight: Das Sousaphon. Für diesen Klang braucht man fast schon einen Waffenschein…

Mit deutlicher Verspätung begann das Konzert von Efterklang, denen der Landschaftspark Nord sehr gut gefällt: „Pretty place you have here“. Efterklang überziehen ihr Publikum mit Klangflächen, die man vermutlich recht schnell in die Ecke Independent packen könnte. Wobei es schwierig wird genau zu beschreiben was für ein Independent dies sein soll, schillert die Musik doch einerseits vor sangbaren Melodien, andererseits bricht sich das immer wieder mit überraschenden Effekten. Das Schubladendenken wird hier sehr stark strapziert. Was auch gut so ist.

Ibrahim Maaloufs Trompete hat vier Ventile. Das ist vielleicht eine Tatsache, die man achselzuckend zur Kenntnis nimmt – dann aber ruft man sich in Erinnerung, dass die Trompete doch eigentlich nur drei Ventile zur Tonerzeugung hat? Warum es bei Maalouf vier sind war schnell klar als der Trompeter mit seiner Band die Gießhalle betrat. Zu hören waren nämlich Anklänge an die arabische Musik und die hat Zwischentöne, die man mit der normalen Trompete nicht spielen könnte. Maalouf erweitert also die Trompete und er erweitert auch den Jazz. Rocklastige Klänge zum Kopfnicken wechseln sich ab mit sanften Tönen zum Hinhören, perfekte Melange die zu den Temperaturen passte.

Musikalische Genregrenzen kennt ebenfalls die Blood Sweat Drum ’n Bass Big Band aus Kopenhagen nicht. Bezaubernd: Sängerin Lauridsen. Die Big Band selbst zeigte keine Spur von Müdigkeit obwohl sie seit fünf Uhr morgens unterwegs waren nur um eigens auf dem Festival spielen zu können. Einsatz der sich lohnte – experimentelle Sounds waren zu hören, andererseits sanfte Klänge. Es scheint, als ob das Traumzeit-Festival an diesem dritten Tag sich auf den Punkt „Genremelange“ konzentriert hätte. Dann jedoch: Die Pat Metheny Group. Ausgeprägt ruhige improvisatorische Jazzlandschaften mit Stücken von an die zehn Minuten Dauer waren in der Kraftzentrale zu hören.

Was soll man noch zu The Notwist schreiben was nicht längst geschrieben wurde? Dass die Band seit 20 Jahren einerseits ihre Songgebilde in regelrechtem Chaos enden lassen kann um dann dann wieder poetisch langsame Zartheit walten zu lassen? Dass Musik von The Notwist sich eigentlich jeder Schublade entzieht? Ja, das kann man auch jetzt wieder schreiben und es wäre auch richtig und wahr. Aber: Was man bisher noch nicht über The Notwist geschrieben hat – die Band schafft es beim Traumzeitfestival die Generationen zu vereinigen. Querweg alle Altersgruppen waren beim Konzert zu sehen. Trotz oder vielleicht gerade ihres teilweise recht schrägen Sounds.

Insgesamt gesehen konnte die Traumzeit wieder das Erfüllen, was man sich von ihr erwartete. Neben den großen Acts gabs genug kleine, die die Entdeckung lohnten. Einzig und allein die Tatsache, dass in diesem Jahr das kostenlose Fringe-Programm zugunsten der neuen Bühne am Gasometer gestrichen wurde könnte einen Hauch von Wehmut dazupacken. Dass am Samstag ein gewisses Fußballspiel dann die Massen vielleicht eher abzog als anlockte – das konnte man jedenfalls nicht planen. Hoffen wir, dass in den Zeiten der Geldknappheit das Festival auch im nächsten Jahr wieder verzaubern kann und darf.

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