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Gebt den Juden Schleswig-Holstein!

Zwei streitbare Autoren und eine heikle Frage: In welcher Form darf man als Deutscher Israel kritisieren? Die Erfolgsautoren Erich Follath und Henryk M. Broder haben sich scharfzüngig und debattenfreudig dieses heiklen Themas angenommen. Aus ihrer Auseinandersetzung entstanden ist ein ebenso erhellendes wie unterhaltsames Buch, das zum Weiterdiskutieren herausfordert.

Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten – aber auch eine Besatzungsmacht, die Menschenrechte verletzt. Sollen wir uns als Deutsche angesichts unserer Geschichte mit Kritik an diesem Staat zurückhalten? Oder verpflichtet uns die Vergangenheit im besonderen Maße dazu, Missstände anzuprangern? Und geht das überhaupt: Israel wie jedes x-beliebige Land zu behandeln?

Zwischen den SPIEGEL-Reporter Erich Follath und Henryk M. Broder hat sich über diese brisanten Fragen eine Debatte entsponnen. Mit großer Lust an der Auseinandersetzung und mit sprachlicher Brillanz feuern die beiden Israel-Kenner die Argumente aufeinander ab – als befreundete Kollegen, was sie jedoch nicht daran hindert, vom Dialog zum Angriff überzugehen.

Gebt den Juden Schleswig-Holstein!
Wenn Deutsche Israel kritisieren – ein Streit
Ein SPIEGEL-Buch (Gebundene Ausgabe)

1. Auflage 2010
167 Seiten, 16,95 € [D]
ISBN 3421044821

Leseprobe:

"Land der Täter, Land der Opfer" oder "Mein Feind, der Freund"

Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten – aber auch eine Besatzungsmacht, die Menschenrechte verletzt. Sollen sich Deutsche mit Kritik zurückhalten? Verpflichtet die Geschichte sie besonders, Missstände anzuprangern? Oder geht das: Israel wie jedes x-beliebige Land behandeln?

Ob beim Antrittsbesuch des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin im Sommer 2009 und dessen hinter den Kulissen erhobenen Forderung, die Frage der möglicherweise völkerrechtswidrigen Siedlungen im besetzten Gebiet auszuklammern; ob während des Gaza-Kriegs und der Aufarbeitung seiner Gräuel, die der Uno-Bericht Richard Goldstones wie die Recherchen der meisten Menschenrechtsorganisationen neben der Hamas auch und vor allem der israelischen Armee anlasten; ob beim Besuch des israelischen Kabinetts bei den deutschen Amtskollegen zur gemeinschaftlichen Sitzung in Berlin Anfang 20i0, eine Ehre, die ansonsten nur den Franzosen gewährt wird und bei dem strittige Punkte zum Ärger mancher und zur Freude vieler in einer Harmonie-Sauce ertränkt wurden: Wenn es um Israel geht, kochen in Deutschland die Emotionen hoch.

Darf man, soll man, muss man als Deutscher den Judenstaat kritisieren – und in welcher Form? Zwingt die deutsche Geschichte uns zu besonderer Rücksichtnahme – oder erfordert sie, im Gegenteil, besondere Klarheit im Umgang mit Israel? Messen die Israel-Kritiker mit zweierlei Maß – oder die Israel-Verteidiger? Vor allem aber: Ab wann nimmt die Kritik an Israel antisemitische Züge an und verletzt so ein Tabu, das kein Deutscher gebrochen sehen sollte – und welche Institution, welche Person entscheidet darüber?

Wie fixiert wirken manche deutsche Politiker besonders von der Linken auf eine scharfe Israel-Kritik und scheuen dabei oft vor Formulierungen aus der Nazi-Zeit nicht zurück. Gegen die Palästinenser würde ein "Vernichtungsfeldzug" geführt, äußerte beispielsweise Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm nach einem Nahostbesuch; auch hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche scheuen nicht davor zurück, die Zustände im Westjordanland mit dem Attribut der "Ghettoisierung" zu belegen; der katholische Kardinal Meisner fand nichts dabei, legalisierte Abtreibungen mit dem Holocaust zu vergleichen. Kein sprachliches Minenfeld bleibt unberührt.

Wenn Worte zu Waffen werden, fehlt freilich auch die andere Seite nicht. Denn den Radikalkritikern gegenüber stehen die Apologeten: Israel als Unschuldslamm. "Europa dämonisiert Israels sechs Millionen Juden, obwohl sie sich nur gegen einen von blindem religiösen Hass angetriebenen Feind wehren", besonders die Deutschen seien geradezu "besessen von arabischem Leid", schreibt der holländische Schriftsteller Leon de Winter in der "Zeit". Vertreter konservativer deutscher Parteien äußern, wenn überhaupt, nur extrem vorsichtig Kritik an der Regierung in Jerusalem, als gelte es, sie in Watte zu packen. Und auch die deutsche Presse bleibt bei ihrer Verurteilung israelischer Übergriffe gegen Palästinenser weit hinter dem zurück, was in Israel täglich in Zeitungen erscheint – in besonderem Maß gilt das für die Organe aus dem Springer-Verlag, der immer vorneweg ist, wenn es darum geht, Israels Politik ohne Wenn und Aber zu verteidigen. Die "Aussöhnung mit Israel" zählt zu den Grundregeln, für die sich jeder Angestellte des Verlags einsetzen muss. Das Diktum des Axel Caesar Springer wird offensichtlich bis heute weitgehend als bedingungsloser Einsatz für die jeweilige Regierung in Jerusalem verstanden. Als stünde Israels Existenz noch genauso in Frage wie zu Lebzeiten des 1985 verstorbenen Verlegers, als sei Israel nicht längst Atommacht und stärkste militärische Kraft in Nahost – und zumindest teilweise und zeitweise in der Region nicht nur Opfer, sondern auch Täter…."

 

Über die Autoren

Henryk M. Broder, geboren 1946 in Kattowitz, ist einer der bekanntesten Publizisten Deutschlands. Er schreibt unter anderem für den Spiegel und die Weltwoche und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen »Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls« (1986), »Kein Krieg, nirgends. Die Deutschen und der Terror« (2002) und zuletzt sein Bestseller »Hurra, wir kapitulieren. Von der Lust am Einknicken« (2006).

Erich Follath, geboren 1949 in Esslingen, ist promovierter Politikwissenschaftler und bekannter Sachbuchautor. Der Diplomatische Korrespondent des SPIEGEL bereist jedes Jahr mehrmals Israel und hat zahlreiche Titelgeschichten und Reportagen über den Nahen und Mittleren Osten geschrieben. Sein Buch »Das Vermächtnis des Dalai Lama« wurde zum Bestseller, bei DVA erschien von ihm zuletzt das SPIEGEL-Buch »Die Kinder der Killing Fields« (2009).

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