Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Stellungnahme von Patricia Riekel zu den Vorwürfen von Renate Künast

Image via Wikipedia

München (ots) – Sehr geehrte Frau Künast,

Sie haben in den vergangenen Tagen einen Brief verbreitet, in dem Sie uns verallgemeinernde Vorhaltungen machen. Sie stützen sich dabei auf eine höchst fragwürdige Veröffentlichung und verkennen zudem die Aufgabe der Presse. Zu unserer journalistischen Aufgabe gehört durch Berichte über Politiker zur Meinungsbildung beizutragen, dazu gehört auch die Aufdeckung von Diskrepanzen zwischen dem gewünschten Image eines Politikers und seinem tatsächlichen Verhalten. Das Sozialverhalten von Leitfiguren ist ein Thema für die Gesellschaft.

Ihnen als aufmerksamer Zeitgenossin ist sicher nicht entgangen, dass in der amerikanischen Demokratie die Wähler von den Medien sorgfältig und detailliert über das persönliche und private Verhalten ihrer politischen Kandidaten informiert werden. Auch bei uns in Deutschland haben die Öffentlichkeit und insbesondere die potenziellen Wähler ein Anrecht auf gründliche Informationen über die Politiker, die mit großem Aufwand an Selbstdarstellung um Vertrauen werben, weil sie die Gesetze und Regeln unseres Zusammenlebens bestimmen möchten. Sie gehören zu den Leitfiguren und Vorbildern unserer Gesellschaft. Zu den Aufgaben der Presse gehört es, zu überprüfen und auch zu recherchieren, ob sie das Vertrauen verdienen, um das sie uns alle bitten. Eine große Zahl von Politikern erfüllt diesen Anspruch der Vorbildfunktion, weil ihre tatsächliche Haltung in der Öffentlichkeit mit ihrem Privatleben übereinstimmt.

Wenn uns aber Hinweise und Informationen erreichen, dass Politiker die Öffentlichkeit und die Wähler in moralischer Hinsicht täuschen oder möglicherweise Beispiel gebend in Beziehung oder Privatleben Maßstäbe setzen, die zu gesellschaftlichen Diskussionen führen, werden wir dies recherchieren.

Wenn Spitzenpolitiker sich von ihrer 4. Frau scheiden lassen, wenn Spitzenpolitiker eine 40 Jahre jüngere Frau heiraten, wenn Spitzenpolitiker Freundinnen in höhere Ämter befördern – auf Steuerkosten – wenn Spitzenpolitiker ein Alkoholproblem haben, wenn Spitzenpolitiker im Wahlkampf ihre angeblich intakte Familie vorweisen, während sie gleichzeitig in einer langjährigen Nebenbeziehung leben, dann liefern sie durch ihren Lebensstil gesellschaftlichen Diskussionsstoff. Es ist korrekter Journalismus, solchem und ähnlichem Verhalten von Politikern nachzugehen. Wenn sich die Informationen nicht bestätigen oder sich nicht verifizieren lassen, berichtet BUNTE nicht.

Im Gegensatz zu Ihrer Entrüstung fühlen wir uns bei korrekter Recherche auch im Recht. Sie haben sich in Ihrem Schreiben auf den Kodex des deutschen Presserates berufen. Dabei haben Sie aber die rechtliche Situation nur oberflächlich wahrgenommen. Als Juristin sind Sie sicher daran interessiert, Ihre Erkenntnisse zu vertiefen. Das ist leicht möglich, da sich höchste Gerichte mit der Thematik beschäftigt haben.

Wer behauptet, die Medien dürften über das Privatleben von Politikern überhaupt nicht oder nur bei Auswirkungen auf die "Amtsführung" berichten, blendet sozialwissenschaftliche Erkenntnisse aus und hat auch die Position des Bundesverfassungsgerichts nicht verstanden. Nach dessen Rechtsprechung darf generell – auch bei Nicht-Politikern – aus dem Privat- und Alltagsleben prominenter Personen berichtet werden, wenn dies der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen kann. Prominente Personen können auch Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- oder Kontrastfunktionen erfüllen. Diese Erkenntnis hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1999 in seiner ersten "Caroline"-Entscheidung formuliert (Beschluss vom 15.12.1999, abgedruckt in NJW 2000, 1921), und es hat sie im Jahr 2008 bekräftig (Beschluss vom 26.02.2008, abgedruckt in NJW 2008, 1793).

Selbstverständlich bleibt die Intimsphäre absolut geschützt. Die erfasst aber nur den innersten Bereich. Beziehungen, Partnerschaften, Trennung und Scheidung mögen privat sein, aber zur Intimsphäre gehören sie nach der völlig einhelligen Auffassung der Juristen nicht. Wenn "nur" der Privatbereich betroffen ist, dann muss im Rahmen einer Abwägung das Informationsinteresse im Verhältnis zu kollidierenden Persönlichkeitsrechten gewichtet werden, denn die Privatsphäre genießt ihrerseits einen verfassungsrechtlich verbürgten Schutz. Bei Politikern ist der aber nicht ausgeprägt. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in dieser Konfliktsituation ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich politischer Akteure an, wobei nicht nur die Amtsführung, sondern auch Aspekte des Privatlebens betroffen sein können. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Beschluss vom 26.02.2008 (Randnummer 99) präzise dargestellt und bestätigt.

Es ist unverständlich, dass sich nun Journalisten und Politiker darin überbieten, diese Einsichten der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft über Bord zu werfen. Vor allem die soziologischen Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, über welche Themen öffentliche Meinungs- und Wertebildung funktioniert, sind unwiderlegt. Wer heute fordert, die Bevölkerung solle ihre Wahlentscheidung gefälligst anhand der Parteiprogramme treffen und sich für die Persönlichkeiten, die zur Wahl stehen, nicht interessieren, argumentiert an der vom Politikbetrieb selbst geschaffenen Realität vorbei. Von der CSU bis zu den Grünen, praktisch alle Spitzenpolitiker wollen "menschlich" wahrgenommen werden und präsentieren sich entsprechend, auch in BUNTE.

Auch der Bundesgerichtshof hat in zwei jüngeren Entscheidungen (Urteil vom 24.06.2008, abgedruckt in NJW 2008, 3134, sowie vom 19.05.2009, abgedruckt in GRUR 2009, 1089) ausdrücklich ausgesprochen, dass sogar das Privatleben ehemaliger Spitzenpolitiker (Heide Simonis, Joschka Fischer) zulässiger Gegenstand von Berichterstattung ist, obwohl hier Auswirkungen auf die Amtsführung gar nicht mehr eintreten konnten. Maßgeblich war die Leitbildfunktion, die mit dem Rückzug aus der aktiven Politik nicht entfiel. Deshalb durfte BUNTE ein Foto der Villa zeigen, die sich der ehemalige Hausbesetzer Joschka Fischer als Alterssitz ausgesucht hatte. Auch hier ist die Rechtsprechung offenbar vielen voraus, die sich jetzt zu Wort melden: Sie hat verstanden, dass politische Meinungsbildung ein komplexer Prozess ist, in dem auch der Übergang verdienter Politiker in den Ruhestand Auswirkungen auf zukünftige Präferenzen haben kann.

Ein zusätzlicher Gesichtspunkt, der in der Abwägung für die Zulässigkeit von Berichten spricht, ist natürlich, wenn der betreffende Politiker sein Privatleben selbst geöffnet hat, etwa im Wahlkampf oder zur Imagepflege. Mit zunehmender Personalisierung von Politik bestimmen private Verhaltensweisen stets über Sympathie oder Antipathie und damit häufig über Wahlentscheidungen mit, so dass ein grundlegendes berechtigtes Informationsinteresse hieran besteht.

Seit Jahren arbeitet BUNTE, wie andere Verlage auch, mit freien Fotojournalisten zusammen, unter anderem mit der Berliner Foto- und Presseagentur CMK. Bei der Auswahl dieser Agentur haben wir die angemessene journalistische Sorgfaltspflicht gewahrt. Die Agentur genoss in der Medienlandschaft einen anerkannten Ruf. Es gab keinerlei Hinweise auf unseriöse Methoden. Deswegen haben alle namhaften Verlage (u.a. Gruner+Jahr, Springer) mit ihr zusammengearbeitet. Sollte einer der erhobenen, aber bislang unerwiesenen, Vorwürfe jedoch zutreffen, würden wir uns von der Agentur distanzieren.

Zusammenfassend erkläre ich Ihnen hier noch einmal: Politiker werden durch die Medien kontrolliert. Das umfasst auch die Privatsphäre der Politiker, wie es vom Bundesverfassungsgericht klar definiert wird. So ist das in der Demokratie. Diese Kontrollfunktion der Presse lässt sich die BUNTE, aber auch die gesamte deutsche Presse, nicht von Ihnen nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Patricia Riekel

Die mobile Version verlassen